Schriftentwicklung 

Wenn man im Archäologischen Museum von Istanbul umhergeht, stolpert man sicher über den großen grauen Steinklotz, der nach Ausweis der Beschilderung der Sarg des Königs Ahiram von Byblos sein soll - gestorben ist der Mann um 800 vor Christi. Sein Grab in Byblos (Libanon) lag oberhalb der antiken Stadt in einem tiefen Felsenschacht. Bizarrerweise hat man vom Rand des Schachtes einen grandiosen Blick über den Hafen und das Meer. Das nützte dem toten König leider nicht viel, weil ihm ja einige Meter Felsen diesen Blick versperrten. Honorieren wir die gute Absicht.

Vorne auf seinem Sarg ist eine Inschrift in etwa 1 cm hohen phönizischen Buchstaben. Sie beginnt gleich mit dem Wesentlichen, wenn man - wie noch heute im Arabischen - von rechts nach links zu lesen beginnt. Dort stehen die Buchstaben M-L-K-A-CH-R-M, was sich unschwer als "Melik Achiram" lesen lässt. auch wenn man kein Phönizisch kann - also "König Achiram". Der Rest ist natürlich phönizisch und man muss die Sprache dann doch schon kennen, um verstehen zu können, was man uns mitteilen will. Lesen allerdings kann man es einwandfrei - aber eben die Bedeutung nicht erfassen. So trifft uns seine Botschaft 2800 Jahre aus der Vergangenheit mit leicht lesbarer Information. Dass sie so eingängig ist, verdanken wir der Tatsache, dass dieses Volk im Libanon bereits vor 3000 Jahren seinen Anteil zum Fortschritt der Menschheit beigetragen hat - der Erfindung der Buchstabenschrift.

Wie kam es dazu ? Wie immer geht es um Geld. Lesen Sie selbst ..........

 

Schriftentwicklung (1. Akt)

Beispiel von Hieroglyphen, die nur einen Konsonanten aufweisen

 

 

Amenhoteps Vorschlag läuft darauf hinaus, die mehrere hundert anderen Hieroglyphen abzuschaffen, die Worte und Begriffe von zwei oder mehreren Konsonanten darstellen oder die das Gemeinte einfach abzeichnen. 

ZEIT = ungefähr 1.227 vor Christi
ORT = Ramesse-Hafen, Ägypten, Mittelmeerküste

Personen
Hadoram - Kaufmann aus Byblos
Amenhotep der Fette, Hohepriester des örtlichen Amun-Heiligtums
Sinuhe, Wirt einer Hafenschenke, ein Libyer mit ägyptischen Namen


Sinuhe = "Derr Herrr wünschen?"

Hadoram = "Erstmal etwas Wein. -- ja, und ist Amenhotep, der Hohepriester, schon hier?"

Sinuhe = "Ihrr meint den "Fetten" ? Tut mirr leid, noch nicht errschienen. Seid Ihrr mit ihm verabrredet?"

Hadoram = "Er sagte, der "Goldene Widder"

Sinuhe = "Das ist hierr. Ihrr seid schon rrichtig. Soll ich einen Boten schicken?"

Hadoram = "Tut das bitte" (gibt ihm eine Fayenceperle, Geld gab es damals noch nicht)

*

Hierr, derr Wein. Aus dem Hause von Elschannan aus Byblos"

Was? - Wein von diesem Strolch !

Ihrr kennt den Elschannan ?

Nur zu gut.

Es ist meine Hausmarrke. Derr Beste, den ich habe.

Jaja - nichts gegen seinen Wein. Der ist schon in Ordnung. Schenkt man ein.

*

Amenhotep betritt den Schankraum, noch etwas außer Atem. Er weiß, dass er sich verspätet hat und das ist ihm peinlich

Gruß dem Kaufmann Hadoram. Ich hoffe, es geht Dir gut.

Ich bin froh, hier gelandet zu sein. Was Du bestellt hat, habe ich mitgebracht. Dein Knecht, der Lagerverwalter Ptahmessis, hat mir schon dem Empfang der Waren quittiert. Hier - der Papyrus mit seinem Krakel darunter. Du brauchst nur noch zu bezahlen.

Kein Problem. Wir regeln das gleich. 3.678 sind in diesem Beutel

(gibt dem Hadoram einen größeren Beutel mit Silber, der auf einer kleinen Taschenwaage bedächtig nachwiegt. Solche Waagen gab es damals schon)

Ääääh - ja, 3.678. Schön, schön. Ich rechnete allerdings mit 3.844

Ja, weißt Du. Wir bestellen ja neu und da kann man einen Teil der Differenz vielleicht kompensieren. Hier - hast Du ja selbst unterschrieben - da hat Ptahmessis was notiert von bestimmten Beschädigungen. Und von dem Gefäßen Typ 4 hattest Du ja nur 56 - wir brauchen ja aber unbedingt 60. Und außerdem unvorhergesehene Provision für .....

(Die weiteren geschäftlichen Vereinbarungen unterliegen dem Datenschutz und müssen hier auch nicht unbedingt breitgetreten werden)

O.k. O.k., alles soweit klar. Ich behalte die neue Bestellung im Gedächnis.

Das bewundere ich an euch Phöniziern. Ihr behaltet alles im Gedächnis

Naja, Eure Schrift ist zu kompliziert. Bis man die gelernt hat, muss man soviel Zeit in den Sand setzen können wie Du als Priester. Für mich aber ist Zeit Geld.

Da hast Du recht. Ich finde manches auch bescheuert. Seit über 1.700 Jahren immer noch das gleiche primitive System mit den Hieroglyphen. Aber meine Reformvorschläge hat man ja auf der letzten Synode wieder einmal abgebügelt.

Reformvorschläge ?

Ja ja, von einer Orthographiereform wollten sie wieder einmal nichts wissen, diese Banausen

(Hadoram fragt mehr aus Höflichkeit denn aus Interesse)

Was hast Du denn vorgeschlagen ?

Ich sag' das jetzt mal ganz vereinfacht. Also, Du weißt doch, dass  die Hieroglyphen immer ein Wort bedeuten. Eben das, was gezeichnet ist. Und dann hat man das alles abstrakter gesehen. Zum Beispiel für "nefer" (schön) das Bild einer Laute, weil die hübschen Sklavinnen zur Unterhaltung auf einer Laute spielen. Später kam man dann dazu, alles, worin N-F-R enthalten ist, einfach mit dem Lautenzeichen zu schreiben. Jetzt kann das 3 Bedeutungen haben: die Laute selbst, den Begriff "schön" oder einfach N-F-R. Ja, so kamen wir dann zu einer Art Silbenschrift ähnlich wie die Babylonier mit ihren komischen Keil-Zeichen. Aber es gibt viel zu viele Zeichen. Bis man die alle gelernt hat. 

Jetzt aber meine Idee! Es gibt auch ganz kurze Worte, nur ein Konsonant. Zum Beispiel das Zeichen für Wasser, das ist so eine gekräuselte Linie. Das ist nur N als Konsonant. Oder das Bild der Schlange - eben nur TH. Jetzt habe ich vorgeschlagen, nur diese Zeichen zu nehmen, etwa 25 sind es nur. Damit kann man alles schreiben. Das ist doch eine ungeheuere Vereinfachung. Denk mal darüber nach.

Ja und ? Das ist doch offenbar eine gute Idee, oder ?

Das sagst Du, Freund Hadoram. Erst einmal hat man mir ganz undiplomatisch zu verstehen gegeben, dass ich nicht der Erste wäre, der diese provokante Idee gehabt habe. Dann sagten sie noch, dass dann ja jeder Prolet lesen und schreiben lernen könne. Das wäre viel zu gefährlich und sie würden ihre Privilegien als Schriftkundige verlieren. 

Naja, irgendwann wird sich Deine Idee schon durchsetzen

Irgendwann schon. Aber bestimmt nicht hier in Ägypten, glaub mir das. Und es wäre so einfach, so einfach. Nur 25 Zeichen, Hadoram.  

 

 
Schriftentwicklung (2. Akt)

Hadorams Überlegungen führen Zeichen für Zeichen zu verschiedenen Ergebnissen. Nicht alle werden aus den Hieroglyphen übernommen. Manche Zeichen werden vereinfacht, manche wohl auch neu ausgedacht. Das ist einfacher, als man annimmt, wenn das Prinzip erst einmal bekannt ist. Die Herkunft einiger Zeichen ist ungeklärt. 

 

Schwer zu zeichnende Zeichen hatten für eine schnell zu schreibende Schrift keine Chance. Die Zeichen sollten auch ungefähr gleiches Format haben, damit sie gut zu unterscheiden waren. Nicht so wie die Ägypter, die die Zeichen manchmal sogar nach dekorativen Gesichtpunkten anordneten. 

ZEIT = ungefähr 1.227 vor Christi - 7 Stunden später
ORT = Mittelmeer, 18 Seemeilen nordnordöstlich vor Ramesse-Hafen, Ägypten, Schiff des Hadoram

Personen
Hadoram - Kaufmann aus Byblos (den kennen wir schon)
Nefer-Maat, seine ägyptische Begleiterin auf allen Handelsfahrten, auf stürmischer See, in lauer Mondnacht und Wächterin über seine Kasse, aber von unbestimmbarer Vergangenheit - was Hadoram allerdings nicht sonderlich interessiert. 


Haddi, dieser Amenhotep hat Dich schon wieder beschubst. Erst einmal hat er 1 von 60 Skonto abgezogen, obwohl nur 1 von 100 vereinbart war. Er kann doch nicht babylonisches Maß nehmen - er ist doch ein Ägypter. Und hier - Abschlag für Lieferung einer Mindermenge. Und dann noch 47 Sekel für "nicht optimale Qualität".  Das musst Du dir nicht immer gefallen lassen. Wieso unterschreibst Du so etwas?

Ach, lass mich doch damit in Ruhe. Meinst Du, ich kann den Scheiß lesen, den diese Halunken auf ihre Quittungen schreiben. Hauptsache, der Endbetrag stimmt. Wir haben 1.874 Gewinn gemacht.

Jaja - aber es hätten 166 mehr sein sollen. Das ist fast 9 von 100 oder - äh - na ungefähr 5 1/2 von 60 an Verlust.

Kein Verlust - nur nicht realisierter Gewinn

Ach, Du redest dich immer raus. Für die 166 könntest Du mir schon einen Ring mit echtem indischen Karneol kaufen.

(genervt) Gut, gut, Schätzchen. Wenn wir in Byblos sind, sehe ich mich auf dem Souk um. (wechselt lieber das Thema) Der Amenhotep hat mir übrigens gesagt, man könne das Schreiben einfacher machen.

Ach ja, Haddi ? Wie denn ?

Du kennst dich diese Hieroglyphen ganz gut. Sonst könntest Du dich ja auch nicht jedes mal über seine Quittungen aufregen. Also - es gibt da Zeichen, die stehen nur für einen Laut. Die TH-Schlange oder die N-Wasserwelle  und so. Und nur solche Zeichen will er verwenden. Er meint, etwa 25 genügen.

Tja, das ist eine bekannte Sache.

Bekannt ?

Naja, nicht offiziell. Weißt Du, manche Leute verwenden diese Zeichen so für ihre privaten Notizen. Richtige Briefe oder Eingaben darfst Du damit natürlich nicht schreiben. Aber für persönliche Sachen langt das schon. Nichts besonderes. Amenhotep ist ja wohl nicht der Erste, der diese Idee gehabt hat.

Hat er auch gesagt. Und dass sie sowas nicht einführen wollen, weil dann lesen zu einfach wird. Jeder könne es dann lernen. Aber es ist doch einfach. Je mehr ich darüber nachdenke, um so weniger bedaure ich die entgangenen 166 Sekel, denn wenn es so einfach ist ....

Der Witz dabei ist, dass Du dir diese Worte merkst, die das Zeichen sind und der Laut, mit dem das Wort anfängt. Den schreibst Du dann immer mit diesem Zeichen.

Du nimmst also das Wasserzeichen für alles, was mit N anfängt, wie nackt und Nagel und Nubier und Niere ?

Nicht nur, Haddi. Auch was mitten im Wort ist. Zum Beispiel Ring, da ist das N in der Mitte von R und G - für Ring  brauchst Du 3 Zeichen.

Aha. Man muss also die Laute isolieren. Nicht nur das Wort betrachten, sondern die Laute, aus denen es sich zusammensetzt. Tja - was gibt es denn überhaupt für Laute. Er meint ungefähr 25. Mal sehen ...Hm, Das Zeichen muss ganz einfach sein und nicht so kunstvoll zu malen wie diese Hieroglyphen. Einfach und leicht zu unterscheiden. Und leicht zu merken. Nehmen wir mal das Wasserzeichen. Bei diesen Ägyptern ist es ja das N, aber das merkt sich schlecht, weil es bei uns MIM heißt.

Dann sollte es wohl besser das M sein.

Genau ! Das M wird mit dem Wasserzeichen geschrieben, weil Wasser bei uns MIM heißt. Was fällt Dir bei B ein ?

Phönizisch? Ja - BETH, das Haus.

Gut. Für B nehmen wir ein gezeichnetes Haus. So von oben gesehen, die Mauern und der Hof davor. Das, was die Ägypter jetzt für das H nehmen..

Wenn Du das so willst, Haddi ...

Gib mir doch mal bitte Papyrus und Rohrfeder. Ich muss erst einmal eine Liste machen, was für Laute es eigentlich gibt. Ich denke, das ist eine klasse Idee, von der mir dieser Amenhotep erzählt hat. Nochmal beschummelt er mich nicht. Irgendjemand muss sich dieser Sache einmal ganz konsequent annehmen.

Ach Haddi, Du bist doch nur genervt, weil ich mit Dir herumgemeckert habe. Lass und doch lieber ....  

 
Schriftentwicklung (3. Akt)

Das phönizische Alfabet hatte 22 Buchstaben, und zwar nahezu nur Konsonanten. Es gab 2 verschiedene "S" (Sin und Samech), die das europäische Ohr kaum unterscheidet. Für den Sprecher einer semitischen Sprache sind das aber 2 Laute.

Dass die Reihenfolge der Buchstaben im griechischen Alfabet und auch noch in unserem lateinischen ähnlich ist, liegt daran, dass die Phönizier diese Zeichen auch als Zahlen verwendeten. Daher blieb die Reihenfolge starr. Außerdem sind die Zeichen sortiert nach schwach, mittel und stark behaucht. 

 

Aus dem ägyptischen Erbe ist das N noch als die TH-Schlange zu erkennen, obwohl der Buchstabe später "nun" (Fisch) hieß, weil "nagesch" (Schlange) religiös verpönt war. Ebenso gehen das M und das B auf Hieroglyphen zurück. Auch beim SCH scheint es der Fall zu sein. Zeichen, deren Laut den Anfangslaut eines Begriffs bezeichnet sind auch z.B. J - jod (Hand), R - resch (Kopf), P - pe (Mund) oder A - aleph (Ochse).

"Notizbücher" mit zweiseitigen Wachstafeln hat man in untergegangenen Schiffen der Bronzezeit gefunden. Das war quasi der Laptop des 13 Jahrhundert vor Christi - und bis in die römische Kaiserzeit in Gebrauch.

ZEIT = ungefähr 1.227 vor Christi - 3 Wochen nach dem 1. und 2. Akt
ORT = Byblos (Libanon) - Tagung der Handelskammer (so etwas gab es damals erwiesenermaßen schon) 

Personen
Hadoram - Kaufmann  (wie gewohnt)
Azrubaal - Tischlermeister
Elschannan - Weinhändler
Melkarjamin -. Bronzegießer
und einige andere


(Der Vorsitzende der Versammlung erteilt zu Punkt 5 der Tagesordnung dem Hadoram das Wort)

Tja - also, ich war jüngst wieder in Ägypten. Wir müssen da immer noch aufpassen. Die ziehen einfach zuviel Skonto und mit angeblichen Mängelrügen sind sie auch leicht bei der Hand.
(zustimmendes Gemurmel)
Ich habe das nicht gleich so gemerkt, welche üblen Tricks sie anwenden, weil ich diese Hieroglyphen nicht lesen kann. Das ist das Problem, liebe Kollegen. Die schreiben alles auf und wenn man das Gegenteil anführt, dann behaupten sie, dein Gedächnis habe dich getäuscht. Weil sie ja alles aufgekritzelt haben. 

Und das Fieseste ist: Die lassen extra ihre Schrift so kompliziert, damit ihnen niemand in die Karten schauen kann. Das habe ich aus zuverlässiger Quelle erfahren. Und auch, dass es viel einfacher geht.  Denn nun, Kollegen, das Wichtige. Mit 22 Zeichen kann man praktisch alles schreiben. Ich habe das mal auf einige Bogen Papyrus gemalt, die lasse ich jetzt mal herumgehen. Dazu werde ich euch gleich die Erklärung geben.

Was ist denn das für ein Gekritzel ?

Das wirst Du gleich sehen !

(Die Einzelheiten von Hadorams Vortrag müssen wir uns nicht noch einmal vergegenwärtigen. Es ist ja klar, auf was es hinausläuft. Eine Buchstabenschrift wurde erfunden. Zwar gab es in ihr nur Konsonanten, aber das ist in einer semitischen Sprache wie damals das Phönizische oder heute das Arabische oder Hebräische kein Handicap. Auf Grund der grammatikalischen Struktur dieser Sprachen sind die Vokale dort nicht ganz so wichtig.)

Da hast Du ja mal einen lichten Moment gehabt, Hadoram.

Ich war eigentlich mit der Keilschrift immer ganz zufrieden ...

Ja, weil Deine Geschäfte so mies gehen, dass Du die Zeit hattest, das monatelang zu büffeln. Hast Du eigentlich dies Jahr den Gildebeitrag schon bezahlt ?

Ich meine nicht die Keilschrift, wie sie die Babylonier verwenden. Das ist so wie Hadorams Idee mit den Hieroglyphen - aber 31 Zeichen aus Keilschrift Also, Hadorams Idde ist nicht so ganz neu, nur eben mit Hieroglyphen.

Die Zeichen von Hadoram sind aber einfacher. Das ist viel besser. Ausnahmsweise eine echt gute Sache. Aber damit es funktioniert, müssen wir es alle einheitlich anwenden. Am besten machen wir - äh - ja Schreib- und Lesekurse. Und jeder bekommt ein Musterblatt. Also, bis hier ist die Sache schon schwer in Ordnung. Allerdings gibt es ein Problem.

(etwas verärgert) Ja, was denn noch?

Die Zahlen. Wollen wir Zahlen wirklich immer noch mit Einzelstrichen notieren. Dafür ist doch diese Schrift auch geeignet. Die ersten Zeichen 1 bis 9, dann 10 bis 90 und dann - ja bis 400 langt das doch. Das genügt für die meisten Zwecke. Man kann z.B. einen Strich darunter machen, dann ist es eine Zahl.

Ist ja alles wunderschön, Kollegen. Aber was brauchen wir dann für Unmengen Papyrus, wenn wir alles aufschreiben. Das kostet doch Unmengen von Geld, das wir den Ägyptern in den Rachen werfen. Mit Papyrus handeln wir, aber wir verbrauchen es doch nicht.

Und alles für Sachen, die ja nicht für die Ewigkeit bestimmt sind

Soweit ich weiß, kritzeln die Ägypter Notizen auch auf Tonscherben

Und die liegen dann jahrelang herum und jeder kann sie lesen. Nein - das geht nicht.

Wachs, Leute. Wachs - das isses. Wachs brauche ich für meine Gussmodelle. Ich kenn mich da aus. Genügend fest. um die Form zu wahren und doch geschmeidig, um etwas einzutragen. So eine platte Tafel aus Wachs.

Ja, aber das ist doch so viel zu weich.

Man muss es irgendwie stabiler machen. Eigentlich ganz klar. Eine kleine Holzplatte, auf der es liegt mit schmalem Rand herum, damit es die Form behält.

Geniale Idee. Und damit es von oben geschützt ist, einen Deckel. Dann kann man sogar zwei Seiten zum Schreiben machen. Danach klappst du zu und alles ist geschützt. Mir schwebt da schon was vor. Ich glaube, für einen halben Sekel könnte ich ....

Immer langsam. Und womit schreibst Du ? So eine Art Kratzer?

Bronzestifte. Oder aus Hartholz. Das ist ja nun technisch einfach. Und hinten mit einer Platte zum Glattschaben. Damit glättest Du das Wachs wieder.

Also, wir schreiben mit einem Stift auf das Wachs und wenn wir die Notiz nicht mehr brauchen, streichen wir das Wachs wieder glatt und können neu beschreiben. Kein Papyrus, keine umständlichen Rollen davon, einfach zugeklappt und es ist geheim. Das ist doch eigentlich genial.

Gut, nachdem wir das technische jetzt gelöst haben - wir machen ab jetzt nur noch Verträge in unserer Schrift. Uns haut man nicht mehr übers Ohr.

Eher wir die anderen, was? Schrift ist Macht.

Da müssen wir uns aber jetzt alle einig sein, Kollegen.

Schon, schon. Aber die Jungs aus Arvad, Beirut, Sidon und Tyrus? Die werden das doch mitkriegen. Sind das nun unsere Kollegen oder Konkurrenten hierbei?

Das seh'  man nicht so eng. Jetzt ist Schreiben so einfach - das kann man nicht geheim halten. Und eigentlich umso besser. Dann gewöhnen sich die Leute an unseren schriftlichen Verträge.   

Schriftentwicklung (4. Akt)
Drei Beispiele der vielen Alfabete, die in Griechenland in Gebrauch waren (blau = Harlikarnassos, rot = Athen alt, schwarz = Korinth). Bestimmte Buchstaben wurden in manchen Alfabeten nicht übernommen (das waw, das qof usw.) und nach dem T, mit dem das phönizische Alfabeth endete, fügten die Griechen mehr oder minder viele Zeichen ein, die sie als fehlend empfanden.

Harlikarnassos B und korinthisch E konnte man ebenso verwechseln wie z.B. korinthisch S mit dem M anderer Schriften. Man musste also wissen, welche Schrift-Variante vor einem lag. Manche Zeichen lassen das phönizische Vorbild noch deutlich erkennen, während andere mehr oder minder umgewandelt sind. Die Reihenfolge blieb allerdings gleich, da auch die Griechen die Buchstaben als Zahlzeichen benutzen (in manchen Fällen bis heute - König Georg II ist dort König Georg B)  

 
 

Für ein U war kein "freier" phönizischer Buchstabe verfügbar. So fügte man dafür in der Regel eine Abwandlung des waw an das Ende an - unser U, V bzw. Y, die aus dieser Form hervorgingen. 

Warum gab es ein PS-Zeichen? Weil beim griechischen Verb die Vergangenheitsform mit "ps" gebildet wird (graphi - grapsi = schreibe - schrieb). Das war also im Grunde ein grammatikalisches Spezialzeichen. Eine Besonderheit von Harlikarnassos ist das lange O am Ende, das "große" O (O-mega).

Zuerst schrieben viele Griechen "wie der Ochse pflügt", d.h. die erste Zeile nach links, die 2. nach rechts und die 3. wieder nach links oder umgekehrt. Dabei wurde die "Blickrichtung" des Zeichens manchmal auch umgekehrt. So ist es zu verstehen, dass es in unserem Alfabet keine Zeichen gibt, die spiegelverkehrt eine andere Bedeutung hätten als ihr Gegenbild.

 

 

ZEIT = ungefähr 821 vor Christi
ORT = Hafen von Houmt-Souk, Insel Djerba (jetzt Tunesien)

Personen
Melathys - Kaufmann aus Tyrins (Grieche)
Sabtecha - Kaufmann aus Tyrus (Phönizier)
Meriu, Wirt einer Hafenschenke, ein Libyer


Derr Herrr wünschen?

Erstmal etwas Wein. -- ja, und ist Sabtecha, der Kazufmann, schon hier?"

Tut mirr leid, noch nicht errschienen. Seid Ihrr mit ihm verabrredet?

Er sagte, die "Großzügige Tanit"

Das ist hierr. Ihrr seid schon rrichtig. Soll ich einen Boten schicken?

Tut das bitte (gibt ihm eine Fayenceperle, Geld gab es damals immer noch nicht - erst ungefähr 200 Jahre später erfand König Krösus die Münzen)

*

Hierr, derr Wein. Aus dem Hause von Elschannans Errben aus Byblos"

Was? - Wein von diesen Strolchen !

Ihrr kennt die Firrma ?

Nur zu gut.

Es ist meine Hausmarrke. Derr Beste, den ich habe.

Jaja - nichts gegen ihren Wein. Der ist schon in Ordnung. Schenkt man ein.

*

Sabtecha betritt den Schankraum, noch etwas außer Atem. Er weiß, dass er sich verspätet hat und das ist ihm peinlich

Gruß dem Kaufmann Melathys. Ich hoffe, es geht Dir gut.

Ich bin froh, hier gelandet zu sein. Was Du bestellt hat, habe ich mitgebracht. 

Ja, sehr schön. Deine Waren habe ich ebenfalls dabei. Bis auf das Elfenbein. Ich konnte nur die halbe Menge erhalten.

Also auch nur der halbe Preis

Wenn das so einfach wäre. Weißt Du, im Moment gibt es ....

(es folgt eine mehr oder minder glaubhafte Erklärung, die uns jetzt nicht weiter zu interessieren braucht und darauf folgend weitere Geschäfsverhandlungen)

O.k. O.k., alles soweit klar. Ich behalte die neue Bestellung im Gedächnis.

Das bewundere ich an euch Griechen. Ihr behaltet alles im Gedächnis

Was macht ihr? Ihr schreibt euch das auf, nicht wahr?

Ja, sieh mal dieses Notizbuch. Das ist aus Byblos, von der Firma Azrubaal und Söhne. Ich habe es von meinem Urgroßvater Othniel dem Jüngeren. Unverwüstlich - schon seit 200 Jahren im Besitz der Familie. Nur das Wachs habe ich mal erneuert. Der Einband ist aus Elefantenlederhaut.

Ja - praktisch das mit dem Zuklappen. So ist geschützt, was Du in das Wachs kratzt.

(zeigt ihm stolz die Notizen) Sieh mal hier - diese vier Zeilen, das ist unsere Vereinbarung

Naja, wer weiß, was Du da geschrieben hast. Ich kann das nicht kontrollieren

Altes Sprichwort: "Wer lesen kann, ist klar im Vorteil". Aber im Ernst - eigentlich schützt es auch Dich. Man sieht ja doch, ob an der Aufzeichnung radiert wurde. Ich zeig es dir mal. Hier - diese vier Zeichen M-L-TH-S, das ist dein Name

Wenn Du das so sagst ...

Und hier: H-L-K-T-N, das Elektron (er meint den Bernstein), den Du liefern willst. Und über dem MIM der Strich, der bedeutet 40 als Zahl. Und Du siehst, immer das zweite Zeichen ist gleich, weil es das L ist.

Du meinst diesen Angelhaken?

Kann man so sehen. Jedenfalls das ist L. Überall wo der geschrieben ist, da spricht man L. Und bei den anderen Zeichen ist es ähnlich. Es gibt davon 22.

Hört sich logisch an. Jedenfalls wohl einfacher als diese blöden Hieroglyphen.

Ihr habt doch auch einmal eine Schrift gehabt. So eine Silbenschrift wie jetzt noch die Leute auf Zypern.

Ja, habe ich auch von gehört. Das ist aber schon Jahrhunderte her, noch vor dem Krieg mit Troja soll das gewesen sein. Aber davon weiß keine mehr so richtig Bescheid. Tja - eigentlich ganz praktisch so mit dieser Schrift. Man wird ja älter und das Gedächnis dann nicht mehr so gut. Ist schon praktisch.

(beide trinken erst einmal einen weiteren Schluck vom Wein aus dem Hause Elschannans Erben) 

Weißt Du, das mit dem Elfenbein war ja doch nicht so die ganz faire Art. Jaja, reg dich jetzt aber nicht gleich auf. Das Geschäft ist ja nun passe. Ich könnte das ganz schnell vergessen und Du hast weiter mein volles Vertrauen, wenn Du ...

Oh, Du immer mit deinen Koppelgeschäften

Habt ihr uns doch beigebracht. Nehneh, Sabtecha, ganz einfach. Erzähl' mir mal was über Schrift

Findest Du es interessant? Es ist ja eigentlich kein Geheimnis. Man kann das wirklich leicht lernen. Eben darum kann es ja kein Geheimnis sein wie zum Beispiel die rückständigen Hieroglyphen. Also pass mal auf ....

(Der Erklärung in allen Einzelheiten zu folgen muss nicht sein. Melathys kommt bald auf den springenden Punkt)

Ihr schreibt also nur die - wie sagt ihr? - Konsonanten, weil die Vokale im Phönizischen nicht so wichtig sind. Aber im Griechischen geht das so nicht. Ich kann ja nicht nur B-T schreiben und es kann Bett, Butt, Boot oder Bitte heißen. Da wäre ja Missverständnissen Tür und Tor geöffnet.

Bei Bitte machst Du zwei T

Trotzdem. So haut das nicht hin.

Du meinst diese Vokale. Bei fremden Namen ist das manchmal auch bei uns ein Problem. Dann missbrauchen wir manche Zeichen. Bei A den Ochsen, bei E das H, bei I die Hand, bei O das Auge und so in dieser Art. Das sind dann aber natürlich Ausnahmen.

So könnten wir uns aber behelfen. Ich meine - es gibt einige Zeichen, die brauchen wir eigentlich nicht. Mit Q kenne ich kein einziges griechisches Wort - als Beispiel. Ein H haben wir auch nicht - aber das E. Auch nicht  eurem Kehlenlaut mit dem Ochsen-Zeichen. Den hört man ja kaum. Den könnte man doch für das A nehmen. So könnte es hinhauen ....

(Da derartige Begegnungen um 800 vor Christi in Hunderten von Hafenkneipen rings um das Mittelmeer stattfanden, brachte jeder Grieche "sein" Alfabet in seine Heimatstadt. So entwickelten sich ungefähr 40 mehr oder minder unterschiedliche griechische Versionen der phönizischen Schrift)

 
Schriftentwicklung (5. Akt)

Das griechische Alfabet wie es 403 v. Chr in Athen festgelegt wurde und wie es noch heute in Gebrauch ist. 

 

Das lateinische Alfabeth hat sich parallel zum Griechischen (über die Etrusker) und auch in Abhängigkeit zu den griechischen Alfabeten aus dem phönizischen Alfabet entwickelt. Statt des ZETA wurde das Gamma in C und G geteilt, man hatte das ursprüngliche F und das Q, dafür kein THETA und kein KSI. Ursprünglich endete das lateinische Alfabet nach den T mit dem V (für U). X, Y und Z wurden angehängt, um griechische Worte einfacher schreiben zu können. J und W kamen erst später hinzu

Das kyrillische Alfabeth (der Bulgaren, Serben und Russen) entstand 863 n. Chr durch Cyrill und Method aus dem griechischen, um die slawischen Laute besser schreiben zu können. 

ZEIT = 403 v. Chr - 17:30 abends
ORT = Athen - ein geeigneter Tagungsraum

Personen
Periander - Vorsitzender der Kommission - 55 Jahre
Menander - Beisitzer, Quoten-Mann aus der Unterschicht - 45 Jahre
Leander - Beisitzer, Sohn eines Papyrusimporteurs - 25 Jahre
Leukander - Beisitzer, aus vornehmer Familie - 65 Jahre
Aristoander - Dichter und Berater der Kommission - 35 Jahre


(Die Versammlung läuft schon eine Weile - wir springen mitten hinein)

Das kann ich so nicht akzeptieren. Wir pflegen hier den ionischen Vers. Da verlange ich Zeichen mit ionischem Duktus. Was diese korinthischen Abweichungen angeht, da schließe ich keine Kompromisse.

Is doch egal, ob man das Sigma sorum oder sorum macht.

Banause - zwischen Sigma und My ist ja wohl deutlicher Unterschied

Hauptsache man erkennts als Sigma

Oh Götter ! Mit so etwas muss ich mich nun auseinandersetzen.

Ich finde auch wie Aristoander, dass wir uns auf ionische Zeichen beschränken sollten. Das große O, das sie in Milet und Harlikarnassos haben, gefällt mir gut.

Wozu brauchst Du 'n großes O ?

Soll ich ein kleines nehmen, wenn ich ein großes haben kann ?

Aber aber, meine Herren. Lasst uns doch sachlich bleiben. Beim Omega sind wir noch lange nicht. Wir kommen jetzt erst einmal zum QOF

Was ist denn das?

Also ich habe hier eine Liste der phönizischen Buchstaben, die seit 400 Jahren Grundlage unserer Schrift sind, quasi das Original und da kommt jetzt eben das QOF.

Wir sollten endlich mit diesem Phönizierkram aufhören. Ich kenne kein einziges Wort, das mit deinem komischen QOF geschrieben wird. Weg damit !

Ja, weg damit !

Und wenn man phönizische Fremdworte schreiben will ?

Was bist Du doch für ein pinseliger Bedenkenträger

Aber die Römer haben es auch, hörte ich

Was gehen uns diese Provinzler an. Weg mit dem Qof - ganz weg, Ersatzlos streichen. Belastet nur. Und diese blöden Römer schreiben Worte damit, wo man auch das K nehmen kann.

Wir können es nicht streichen. Es ist das Zahlzeichen für ...

Oh nein ! Nicht schon wieder diese blöden Zahlzeichen.

Also weg damit

Gut, also beschlossen. Wir streichen das Qof und für das Zahlzeichen finden wir sicher eine Sonderregelung.

(Leukander wacht kurz auf) Ich erhebe Einspruch

Du bist überstimmt

Können wir nicht auf Morgen vertagen

Geht nicht. Dann muss ich zur Theatergruppe des Euripides. Wir müssen heute fertig werden.

Mir ist das hier viel zu sehr mit 'ner heißen Nadel genäht

Da spricht der Schneider, wie er leibt und lebt. Wir ziehen das heute mal durch, damit dieser Kram endlich erledigt ist. Jetzt müsste das RHO kommen.

Ja, mit oder ohne Schrägstrich nach unten. Wir hatten immer das RHO mit Schrägstrich, wenn auch manchmal nur mit einem kurzen halben.

Das sieht gut aus, ich habe mich daran gewöhnt

So etwas altertümliches will ich nicht. Es hindert auch beim Schreiben, überflüssige Arbeit. Ich muss hier auch darauf achten, dass man Texte schnell und flüssig schreiben kann

Masse ist nicht Klasse

Aber Aristoander - Du hast mir doch versprochen, dass das RHO den Strich behält. Wenn Du jetzt dagegen sprichst, bist Du nicht mehr mein Freund.

Was hat denn das damit zu tun? Ich will das nicht so haben wie die Römer und Korinther. Und außerdem ist es einfacher zu schreiben ohne Strich

Da hat der Herr Poet ausnahmsweise Recht

Der Strich soll weg? Aristoander, wenn Du dafür stimmst, dann kriegst Du keinen Rabatt mehr in Pappis Laden. Dafür werde ich sorgen.

Ach, nun stell Dich doch nicht so an. Nächstes Jahr hast Du dich daran gewöhnt

Also das Rho ohne Strich. So beschlossen.

(Leukander wacht kurz auf) Ich erhebe Einspruch

Du bist überstimmt. Nun das SIGMA. Damit man es nicht mit dem MY verwechseln kann,  müssen wir dafür sorgen, dass ...

(und so weiter - bis die Kommission beim Omega gelandet ist. Diese Festlegung der 24 griechischen Buchstaben durch die kulturell führende Stadt Athen setzte sich durch und ist prinzipiell noch heute gültig)


INDEX
FEUILLETON