Buchbesprechung  zu  D. Höltge / M. Kochems 
Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland, Band 11: Hamburg 

EK-Verlag, Freiburg (Eisenbahnkurier), 39 €, erschienen 27.03.2008, ISBN 978-3-88255-392-5

Auch wenn das Buch 360 Textseiten umfasst und zusätzlich 24 Seiten sehr schöne Farbphotos folgen, so bleibt der Eindruck doch zwiespältig. Ab Seite 250 beginnen die Kapitel über S-Bahn, U-Bahn, Obus und Alster- und Hafenschifffahrt, so dass für die Straßenbahn demnach nur ca. 70 % der Platzes verwendet wird.

Zunächst fällt auf, dass offensichtlich kein in Hamburg Ortskundiger gegengelesen hat. Einzelfehler toleriert man immer, aber Formulierungen wie "nach Mittelweg", "Galopprennbahn Horn", "die nördliche City" (statt City-Nord), "Hafenviertel" (statt Hafen-City) "Heuweg" (statt Heuberg) muten schon seltsam an. Auch historische Straßennahmen wurden nur übernommen, statt den aktuellen Straßennamen zuzusetzen. So ist der in der Hamburger Stadthistorie unbewanderte Leser manchmal allein gelassen. Auch dass das Literaturverzeichnis auf die Seiten 4 und 360 verteilt wurde, irritiert.

Was erfährt man neues auf den 250 der Straßenbahn gewidmeten Seiten? Von Seite 9 bis 56 geht es um Pferdebahn und Pferdeomnibusse, seit 1962 detailliert in Rolf Heydens Buch (das auch auf Seite 360 im Literaturverzeichnis erscheint) bestens bekannt. Von Seite 81 bis 97 und 201 bis 232 wird über die Wagen der Straßenbahn berichtet. Hier hat der Verfasser nach dem Vorwort die Hilfe von Hermann Hoyer in Anspruch genommen und so steht dort eben auch das, was man schon seit Jahren in den ausgezeichneten drei Büchern von Herrn Hoyer (vom VVM) darüber lesen konnte. Wer die Bücher von Herrn Hoyer nicht mehr bekommen konnte, findet hier aber doch die wichtigsten Details einschließlich der Wagenlisten.

Wer bisher Photos aus Harburg vermisst, kommt hier auf seine Kosten. Ansonsten gibt es wirklich viele schöne Photos im Textteil. Einige neu, manche schon bekannt - aber das ist kein Wunder, denn so viele Photos aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gibt es ja nun doch nicht. Neben vielen Photos auf der 1/3-Seite gibt es auch einige halbseitige, die durch ihre Größe sehr gut wirken. Alle sind auch sauber gedruckt, so dass die Illustration des Buches einen ansprechenden Eindruck macht.  

Wenn wir von den 250 Seiten diese 47 und 17 und 32 (insgesamt 96) schon bekannten Seiten abziehen, bleibt ca. 150 Seiten (von 360) neue Information über die elektrische Straßenbahn. "Büttn wenich" sagt der Hamburger. So schön Photos sind - aber sie nehmen dann natürlich auch Platz für den Text fort. Bei diesen Seiten erwartet man dann auch Details über die Liniengeschichte. Naja.

Bescheidene 5 Liniennetzpläne enthält das Buch (1894, 1939, 1950, 1955, 1966). Für die Jahre vor dem ersten Weltkrieg (40 Linien!) und die Weimarer Zeit erhält man keinen Überblick. Für die Zentralbahn und die Blankeneser Bahn gibt es aber vernünftige gesonderte Streckenskizzen.

° 1894 (Seite 30) = eine äusserst dürftige schematische Schüler-Skizze, offenbar dem um Klassen besseren Plan von R. Heyden nachempfunden

° 1939 (Seite 139) = lagerichtige Skizze, aber ohne Liniennummern. Allerdings fehlt die am 01.01.1939 noch betriebene Linie [32]

° 1950/51 (Seite 148) = vermutlich aus einer HHA-Quelle, sehr schematisch und nur mit Endstellen bezeichnet

° 1955 (Seite 166) = lagerichtig, mit Liniennummern nicht nur bei den Endstationen, sondern auch auf dem Linienweg. Als Quelle "Sammlung Hermann Hoyer" angegeben, d.h. aber dass dieser Plan eben auch die Beilage zu Band III von 1984 von Herrn Hoyer über die Straßenbahnwagen war. Dies ist der einzige gute Linienplan dieses Buches.  

° 1966 (Seite 173) = viel zu stark schematisiert, Fehler bei Linie[15] Martinistr, aber immerhin dann doch mit Endstationen und Liniennummern an den Strecken (waren da ja auch schon deutlich weniger) 

Doch macht die ganze Liniengeschichte einen sehr schematischen und kleinkarierten Eindruck endloser Aufzählung, statt verkehrsgeschichtlicher Hintergründe und Verknüpfungen. Oft werden Details über Gebühr ausgewalzt, währen andere Entwicklungen zu global abgenudelt werden (z.B. Reihenfolge der Elektrifizierung sehr lückenhaft). Die großen Linien und Zusammenhänge kommen zu kurz. Eine textliche Linienübersicht per 01.11.1900 ist gegeben - allerdings sind die angegebenen Dachzeichen genau so schematisch wie bei Sohns (Linienchronik) und Staisch (Straßenbahn adieu) und zum Teil per 1900 falsch angegeben.

Immerhin ist natürlich das Sammeln all dieser Daten eine Fleißarbeit und die Mühe der Herren Höltge und Kochems darf man nicht unterschätzen. Der Teufel liegt im Detail und die Auswahl des Wichtigen ist subjektiv. Für den, der überhaupt über den Aufbau, die Zerstörung 1943, den Wiederaufbau und das endgültige Abwürgen des Hamburger Straßenbahnnetzes etwas erfahren will, bietet das Buch schon einmal eine gute Übersicht. Eine Linienentwicklung ist aber nicht stringent nachzuvollziehen.

Vermisst werden genauere Angaben der Linienführung bei Übernahme der Zentralbahn am 01.01.1923. Hier folgt man offenbar einfach der ebenso globalen Quelle von K. H. Gewandt aus dem Straßenbahn-Magazin Nr. 8 (auch schon Jahrzehnte bekannt). Der in Altona herrschende Linksverkehr wird nicht erwähnt (falls ich nicht was überlesen habe) 

1 1/4 Seiten Text über Falkenried ist immerhin etwas, aber dazu noch eine Lageskizze des Geländes (z.B. aus Holstein / Dr. Kemmnns Bericht von 1928) wäre doch chic gewesen. 

Immerhin folgen ausführliche Kapitel über den Postbetrieb und Güterbetrieb der Straßenbahn, die man so in dieser Ausführlichkeit bisher vermisste. Eine löbliche Ergänzung.

Das S-Bahn-Kapitel bietet für den Fan schöne Photos der alten Wechselstromtriebwagen. Die Skizze des U-Bahnnetzes auf Seite 307 verzichtet sowohl auf Haltestellen als auch auf historische Angaben. Die Behandlung von Obus, Alsterschifffahrt und Hafenschifffahrt kann gewiss nicht schaden und rundet das Bild der Hamburger Verkehrsmittel ab, hat aber primär mit der Straßenbahn nichts zu tun. Wäre das Buch sonst zu dünn geworden? 

Ab Seite 360 folgen auf 24 unbenummerten Seiten eine Menge sehr schöner Farbphotos - eine Augenweide! Dieser Abschnitt ist wirklich sehr gelungen und empfehlenswert.

Als Fazit kann man sagen: Wer mal einen Überblick über die Hamburger Straßenbahn haben will, liegt mit diesem Buch nicht verkehrt. Der Wagenspezialist möge lieber zu den VVM-Büchern von Hermann Hoyer greifen. Wen Linien interessieren, kann eher bei den "gelben Heften" des VVM fündig werden oder muss eben noch etwas warten, bis eine "echte" Liniengeschichte erscheint..

Dies ist meine private Meinung !  blau  Ergänzung  05.04.2008 *  Urheberrecht  05.04.2008 bei Horst Buchholz, 29553 Bienenbüttel

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