Gleisanlagen auf dem Rathausmarkt


Das Hamburger Rathaus auf einem sehr stimmungsvollen Photo von Marcus Schomacker von September 2008

Nach dem großen Brand von 1842 hat Hamburg die Gelegenheit genutzt, in der Mitte der Stadt einen großen freien Platz anzulegen. Aber wie das Leben so ist – bald bedeckte das Denkmal von Kaiser Wilhelm I die mittlere Fläche des „Marktes“, der nie ein regulärer Markt war, sondern eher repräsentieren sollte. Wenn heute der Rathausmarkt zu bestimmten Gelegenheiten (z.B. im Advent oder bei der Fußball-WM 2006) als "Markt" genutzt wird, so tut er dann damit auch seinem Namen alle Ehre.  Schon die erste Hamburger Pferdebahn nach Wandsbek hatte 1866 ihren Endpunkt am Rathausmarkt und bis zum Ende des Straßenbahnbetriebes 1978 war dieser Platz auch Ausgangspunkt der letzten Hamburger Straßenbahnlinie 2 nach Schnelsen. 

Durch die zentrale Lage in der Hamburger „City“ war der Rathausmarkt immer das Ziel vieler Linien. Bis 1887 war er dabei regelmäßig das Ende der Fahrt der Linien der Pferde Eisenbahn Gesellschaft (PEG) und der Straßen Eisenbahn Gesellschaft (SEG). Nur die Hamburg-Altonaer Pferdebahn (HAPf) fuhr seit 18.08.1881 von der Gr. Johannisstr ohne direkte Berührung des Rathausmarktes in die Rathausstr.  

(Die Darstellung folgt der Vermessungskarte 1:1.000 der Baudeputation von September 1884 in der Staatsbibliothek Hamburg) 

Erst am 16.09.1887 wurde mit der späteren Linie "22" der Großen Hamburg-Altonaer Straßenbahn die abzweigende Strecke von der Hermannstr am Südende des Rathausmarktes entlang zur Gr. Johannisstr eröffnet und somit die Gleise der SEG mit denen der HAPf verbunden. Diese Linie fuhr von St. Georg nach Ottensen als Erste direkt am Rathausmarkt vorbei.

Ab 01.10.1883 erreichten die Pferdebahnen der SEG über die Rothenbaumchaussee nach Eppendorf (später „18“), über den Mittelweg (später „19“) und nach Ohlsdorf über Dammtor (später „28“) den Rathausmarkt über die Poststr. Ab 01.12.1883 kamen noch die Linien nach Eimsbüttel (später „11“) und zur Hoheluft (später „2“) hinzu. Die Strecke durch die Poststr. wurde bald teilweise zweigleisig ausgebaut. Die Verbindung über die Schleusenbrücke blieb aber eingleisig. Später vermehrten sich die Gleise an der Westseite des Platzes auf bis zu sieben.

Die Elektrifizierung ab 1894 hätte auch die Möglichkeit geboten, zwei bisher in der Stadt endende Linien zu einer Durchmesserlinie zu verbinden. Für die Pferde erschienen solche Linien prinzipiell zu lang zu sein, obwohl die 1892 verbundenen Pferdebahnen nach Rothenburgsort und Langenfelde auch schon eine ganz respektable Länge aufgewiesen hatte. Diese Linien-Verbindungen erfolgten jedoch zumeist erst 1900. 

(Die Darstellung folgt der Vermessungskarte der Baudeputation 1:4.000 von 1890 in der Staatsbibliothek Hamburg. Dass auch in den Gleisen von der Schleusenbrücke "Hosenträger"- Verbindungen vorhanden waren, ist aus der Karte aufgrund des groberen Maßstabes nicht direkt ersichtlich)

Vorerst endeten aber auch die elektrifizierten Linien noch auf dem Rathausmarkt. Wie man einer zeitgenössischen Postkarte (Sammlung Verfasser)  von Anfang des Jahres 1900 entnehmen kann, hatten sich die Gleise vor dem Rathaus inzwischen auf fünf vermindert. In der Mitte waren sie offenbar durch paarweise gekreuzte Weichen verbunden (sog. „Hosenträger“). Von den auf den Rathausmarkt endenden Linien führten 3 in die Hermannstr. (ab 1900 = Linien 1, 17, 18 Ost), während 5 von der Schleusenbrücke kamen (ab 1900 = Linien 2, 11, 18 West, 19, bis 1900 der Grindelring). Jetzt 7 Linien (ab 1900 = Linien 4, 5, 6, 7, 9, 13 und 22) berührten weiterhin die Südseite des Platzes in der Relation Hermannstr. – Gr. Johannisstr.. Nach wie vor huschte auch die Zentralbahn an der Südwestecke am Rathausmarkt vorbei aus der Rathausstr. kommend auf ihrer Fahrt nach Altona.

Die enge Poststr. erlaubte nur teilweise die Anlage eines zweiten Gleises. So dachte man im Senat 1895 sogar an ein „2. Gleis“  für die Poststr. über Hohe Bleichen, Heuberg, Bleichenbrücke und Alter Wall. Schließlich biss man in den sauren Apfel und erlaubte auf dem Jungfernstieg die „Oberleitung“ und die Straßenbahnschienen, weil es so wie bisher ja nun doch nicht weitergehen konnte.

Mit Linienverknüpfungen konnte man gleichzeitig die Gleisanlagen der Pferdebahnzeit auf dem Rathausmarkt seit September 1900 noch weiter vereinfachen. Man sparte sich Kehrmanöver durch die Weiterleitung der Linie 2 von Lokstedt nach Wandsbek und auch dadurch, dass die Linien 1 (gegen die Uhr) und 17 (mit der Uhr) je eine Richtung des Grindelringes übernahmen. Auch beide Endstationen des Alsterringes wurden jetzt miteinander zu einem echten Ring verknüpft und Linie 19 bediente mit dem „kleinen“ Alsterring über Mittelweg auch Uhlenhorst.

Nur Linie 11 kehrte noch am Rathausmarkt und zwar über die kurze Weichenverbindung an der Kleinen Alster. Mit diesen Änderungen hatten die Wagen dieser Linien der SEG jetzt auch ihre neuen Liniennummern erhalten. 

Bevor das alles aber am 03.09.1900 in Betrieb genommen werden konnte, waren umfangreiche Bauarbeiten nötig. Daher fuhren im August 1900 die Linien 2, 11, 18 West, 19 und der Grindelring vom Dammtor vorübergehend über Lombardsbrücke und Hermannstr. in die Stadt.


vermutliche Strecke Alter Wall
blau = wenn ein- oder zweigleisige Abzweigung; violett = wenn eingleisig; grün = wenn zweigleisig

Für den Bau der Hochbahn musste die Gr. Johannisstr. frei gemacht werden. Die SEG-Linien 4, 6, 9, 13 wurden ab 01.02.1908 über den Alten Wall umgeleitet. Linie 22 folge der Linie 24 über Spaldingstr. statt über Hermannstr. den Hansaplatz zu erreichen. Die Linien 7 und 9 tauschten praktisch ihre Endpunkte, damit die 7 die Baustelle nicht noch zu überqueren brauchte; Linie 7 fuhr so die Route der 9 vom Rödingsmarkt über Messberg. 

Wie soll man sich nun eine Umleitung über „Alter Wall“ vorstellen? Wenn hier vier Linien unterwegs waren, denkt man sogleich an eine zweigleisige Strecke. Eine direkte Dokumentation darüber habe ich (noch?) nicht gefunden. Die Zeichnung nebenan (blaue, grüne und violette Strecken) ist daher etwas spekulativ. Am Rödingsmarkt kamen jedenfalls zwei Gleise an (siehe im Nachbarkapitel über den Rödingsmarkt).

Der Alte Wall sollte ja im Prinzip „geschont“ werden und die Maßnahme trug ja auch nur vorübergehenden Charakter. Sonst hätte man durch den Alten Wall ja auch das „2. Gleis“ für den Gr. Burstah legen können, wie es ab 07.12.1912 mittels der Strecke durch den Mönckedamm geschah.


Rathausmarkt mit Denkmal Kaiser Wilhelm I nach einem Modell im Museum für Hamburgische Geschichtes
 

ergänzter Ausschnitt aus Pharus-Stadtplan 1905  (Sammlung Verfasser) Liebevoll gezeichnet zeigt dieser Stadtplan sogar die Kehrgleise der Straßenbahn an der Ostseite des Rathausmarktes

Die SEG-Linien 5, 7 (statt der 9), 12, 21, 24 und 25 konnten ihre bisherige Route über Schauenburgerstr. behalten, aber die Zentralbahn fuhr ab 01.02.1908 nach Osten mit den SEG-Linien über Schauenburgerstr. und Schulstr. (neben dem ehemaligen Johanneum - jetzt durch Domstr. überbaut). Nach Westen bekam sie neue Gleise über Pelzerstr., Dornbusch und Gr. Bäckerstr., während auch hier die SEG-Linien ihre Strecke über Gr. Reichenstr. und Börsenbrücke beibehielten. 

Diese Route ist hier auf einem Ausschnitt eines Stadtplanes von 1905 aufgetragen. Die weißen Linien bezeichnen die vorübergehend still liegenden Strecken. Die Mönckebergstr. wurde gerade erst gleichzeitig mit dem Bau der Hochbahn durchgebrochen. 

Am 15.10.1908 kehrte die Zentralbahn auf ihre alte Route zurück und ab 08.04.1909 war die Umleitung über den Alten Wall nicht mehr nötig. Die Linien 4, 6, 7, 9 und 13 fuhren wieder wie vor der Umleitung, nur die Linie 22 blieb vorerst bei dem Weg über Spaldingstr.

Die Linien 1 und 4 eröffneten am 18.03.1910 die Strecke durch die neue Mönckebergstr. Von der Mönckebergstr. konnte man zuerst nur in Richtung Gr. Johannisstr. fahren. 

Da die „1“ somit nicht mehr wie bisher nach Eppendorf gelangen konnte, tauschte sie mit Linie 6 ihre Endpunkte und erreichte so den Eimsbütteler Markt. Dafür fuhr dann die "6" über Grindelallee zum Krankenhaus in Eppendorf. 

Ab 14.12.1910 verstärkten auch die Linien  „15“ und „17“ die neue Strecke, wobei die „15“ als erste Linie von der Mönckebergstr. in die Kirchenallee und Lange Reihe abbog. Dorthin fuhr man zuvor immer über die Strecke Hermannstr. - Ferdinandstr. -  Ernst-Merck-Str.

Die fehlende Verbindung Gänsemarkt – Mönckebergstr. installierte man dann doch am 01.06.1912. Das ganze Gebilde an der Südost-Ecke des Rathausmarktes was quasi eine doppelgleisige Doppelkreuzungsweiche. Nun konnte man freizugig sowohl vom Gänsemarkt als auch von der Gr. Johannisstr. kommend jeweils über Hermannstr und Ferdinandstr oder aber über die Mönckebergstr. fahren (und natürlich auch umgekehrt).

Zuerst benutzte allein die verlängerte Linie 11 die neue Gleisverbindung. Später wurde gerade diese Verbindung die Standard-Strecke Gänsemarkt - Mönckebergstr. für die Straßenbahn.

Bis 01.06.1918 endete Linie 37 von Hamm kommend am Rathausmarkt in den beiden Kehrgleisen rechts. Von dann an kehrte sie am Gänsemarkt – wie in den nächsten Jahren auch die Linien 38 und 40 sowie die Verstärker der Linie 13. Daher kann man davon ausgehen, dass der Gleiswechsel für endende Linien am Rathausmarkt um diese Zeit außer Betrieb kam.



Postkarte von 1912, die links die Baustelle der Hochbahn-Station zeigt und
rechts die Neuverlegung der Straßenbahngleise, so dass sich die im Text erwähnte
Überkreuzung ergab. Der Eingang zur Hochbahnstation für den Bahnsteig in Richtung
Rödingsmarkt ist bereits fertig gestellt
(Ausschnitt aus einer Postkarte der Sammlung Andreas Pahl)

Ursprünglich waren die Stationen der Hochbahn so konzipiert, dass Züge von 4 Wagen Länge halten konnten. Diese optimistische Annahme stellte sich bald als zu kleinlich bemessen heraus. So wurden in den 1920-er Jahren die Bahnsteige soweit verlängert, dass auch Züge mit 6 Wagen halten konnten. Ähnlich wie 1908 musste man sich wieder Baufreiheit verschaffen. Daher wurden auch an die Westseite des Rathausmarktes zwei Gleise gelegt. Ab 20.06.1926 fuhren die Linien 2, 11, 16 und 22 vom Gänsemarkt zur Mönkebergstr. über die neuen Gleise und die Linien 6 uns 18 von der Hermannstr. über das östliche Gleispaar zum Gänsemarkt Die Verbindung Mönckebergstr - Gänsemarkt „von 1912“ war also jetzt zeitweilig unterbrochen. Die Linien 28 und R kehrten ab 01.07.1926 wieder über das Gleis Kleine Alster. Die Zeichnung zeigt die dann wieder hergestellte Anlage von 1929.

Die Strecke Hermannstr. blieb zwar betriebsfähig, diente aber nur noch als Umleitungsstrecke. Während der Zerstörungen in Hamburg im Zweiten Weltkrieges hat sich diese Alternative noch als sehr nützlich erwiesen


Die dünnen grünen Pfeile zeigen die Einbahnstraßen in der Innenstadt. Man beachte auch die noch geplante Hochbahn-Haltestelle am Jungfernstieg in der Binnenalster, die eine Verlängerung der Linie über Alstertor und Pferdemarkt (G.-Hauptmann-Pl.) zur Mönckebergstr. erlaubt hätte. 
(Enoch Stadtplan 1928 - Sammlung Verfasser)

Auch wenn in den 1920-er Jahren der Autoverkehr in Hamburg mit der heutigen Zeit verglichen eher bescheiden war, so machte man sich doch schon Gedanken um Einbahnstraßen-Regelungen. So wurde die Hermannstr. für den Verkehr stadtauswärts vorgesehen und der Alsterdamm (Ballindamm) für die Fahrt in die Stadt. Das hatte Auswirkungen auf die Straßenbahn. Schon am 23.08.1927 kehrte Linie 22 nicht mehr Mönckebergstr., Kirchenallee, Glockengießerwall, Hermannstr., sondern in umgekehrter Richtung. Sie steuerte danach die Herrmannstr. an in Richtung Glockengießerwall.  

Seit 18.09.1928 fuhren auch die Linien 6, 7, 18 und 25 generell über die Mönckebergstr..  Jetzt war also die 1912 eingebaute zusätzliche Verbindung die Hauptroute geworden. Für die Hermannstr. war dies besonders bitter, da sie doch ab August 1928 noch die Linien 1, 2, 4, 9, 11, 16, 17 und 22 gastlich aufgenommen hatte, da die Mönckebergstr. gesperrt war wegen der Verlängerung der Hochbahn-Haltestelle Barkhof (jetzt Mönckebergstr,) für Züge von 6 Wagen.


Umbau Rathausmarkt - Aus dem "Hamburger Anzeiger" (Sammlung Hans Rehders)

 

Seit 1918 war Deutschland eine Republik. So empfand man es denn als notwendig, das aufwändige Denkmal Kaiser Wilhelms I vom Rathausmarkt zu entfernen. Heute steht es etwas versteckt in der Anlage neben dem Ziviljustizgebäude in den Wallanlagen. So wurde der Rathausmarkt erneut umgestaltet Die zwei Gleise an der westlichen Seite des Rathausmarktes von 1926 waren nun sehr nützlich. Diese komplexe Konstruktion erlaubte aber, die Bahnen jeweils dort entlang zu leiten, wo sie die Bauarbeiten weniger störten. Schließlich mussten die Fahrgäste auch irgendwie aus- und einsteigen können.

Die Kontur des Kaiser-Wilhelm-Denkmals mit den beiden Halbkreisen an den Enden nimmt in Grunde schon gedanklich die spätere Gleislage mit den beiden Kehrkurven vorweg.

Die 1930 umgebauten Gleisanlagen mit der Kehrschleife jeweils Richtung Gänsemarkt und Richtung Mönckebergstr. änderten sich bis zum Ende des Straßenbahnbetriebes 1978 im Prinzip nicht mehr. Sogar das Richtungsgleis auf der Ostseite des Platzes zur Mönckebergstr. bzw. Hermannstr., das man 1900 legte und das seit 1930 ohne Linienbetrieb war, konnte man noch bis zuletzt sehen. Notfalls hätte man mit diesem Gleis das reguläre Gleis direkt vor dem Rathaus vom Verkehr freihalten können.

Bei kehrenden Linien sollte an der Ankunftsseite ausgestiegen werden, die Linie kehrte dann und auf der Abfahrtseite sollte eingestiegen werden. Soweit die Theorie! Der Verfasser erinnert sich, dass ca. 1948 wie viele andere Fahrgäste auch seine Mutter  am Rathausmarkt auf dem Weg zur Hoheluft stets schon an der westlichen Ausstiegsseite in die kehrenden Züge der "22" eingestiegen ist, damit sie die Chance auf einen Sitzplatz hatte.

Die Strecke durch die Ferdinandstr. wurde 1963 abgebaut; 1969 wurde das Kehrgleis an der Kl. Alster entfernt, um Baufreiheit zu haben für die City-S-Bahn.

Am 30.09.1978 endete dann nach 112 Jahren der Straßenbahnbetrieb auf dem Rathausmarkt.

Dieses Photo von etwa 1930 bis 1939 zeigt nicht nur den Eingang zur U-Bahn-Haltestelle, sondern auch die damals neuen Gleisanlagen der Straßenbahn. Neben dem vorderen Straßenbahnwagen erkennt man auch ganz gut den Mast mit dem rechteckigen weißen Haltestellenschild. 

Das vordere Auto scheint allerdings in das Photo kopiert worden zu sein. So etwas war damals "Belebungsmittel" für Großstadtszenen.

(Sammlung W. Seyer).


(zum gleichen Thema gibt es auch meinen Artikel in Heft 2/2007 (Seiten 4 bis 7) der Hamburger Nahverkehrsnachrichten des VVM)

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