1955 - Neuordnung des Hamburger Stadtverkehr
In der 1955 mit diesem Titel herausgekommenen Senatsdenkschrift gibt sich der Senat Hamburgs sehr generös - gegenüber den Autofahrern. Ein sehr aufwendiges Hochbahn-Netz soll die Straßenbahn weitgehend überflüssig machen und die Straßen vom "Oberflächenverkehr" entlasten. Die arbeitende Bevölkerung konnte ja ihre täglichen Wege ebenso gut im Tunnel zurücklegen. Denn inzwischen war die Stadt wieder so dicht bebaut, dass man an oberirdische Strecken kaum mehr denken konnte. Eine entsprechende oberirdische Trasse z.B. durch Grindelallee, Grindelberg und Hoheluftchaussee fiel dem Wiederaufbau zum Opfer. Man hätte die Grundstücke ja erst einmal enteignen müssen - ob die Häuser nun zerstört waren oder nicht.

Neben dem bestehenden RING (auf dem Plan mit "0" bezeichnet) sollten sieben weitere und auf dem Plan exakt mit Zahlen bezeichnete Linien entstehen. Kühn war für eine bessere Verbindung sogar wieder an die Aufgabe bestimmter existierender Strecken gedacht - z.B. der Verbindungskurve zwischen Barmbek und Habichtstr. Die zerstörte Strecke nach Rothenburgsort sollte teilweise doch wieder entstehen (blau markierte Strecke).

Betrachten wir die Einzellinien. Auch wenn die beiden Äste nach Niendorf und Billstedt die Liniennummer "1" erhalten hatten, so sollten sie nicht zuerst gebaut werden. Zuerst als zu bauen geplant war die Strecke der "4" als Verlängerung der "Kell-Jung"-Linie im Zuge der jetztigen U1 bis Hauptbahnhof und als zweites Bauvorhaben bis Wandsbek und in die Walddörfer. Diese Linie sollte diesmal erst in Farmsen auf die Walddörfer-Strecke aufmünden (violett markierte Strecken). Der Zweig zum Wandsbeker Markt sollte zwischen Wartenau und Wandsbeker Chaussee die beiden Haltestellen "Eilbeker Weg" und "Maxstr." erhalten. Gebaut wurde aber nur die dazwischen liegende Haltestelle "Ritterstr.".  Als 3. Maßnahme war dann die Strecke der "2" von Ottensen bis Jungfernstieg vorgesehen - später wieder in ihrer Wertigkeit zurück gestellt wegen der inzwischen geplanten "City-S-Bahn".

Linie "2" nahm schon viel von der später als "U4" bekannten Planung mit der Verbindung Lurup - Winterhude vorweg. Die Langenhorner Linie sollte allerdings über Hudtwalckerstr. angeschlossen werden. Da auch die Linie über Rothenbaumchaussee (Linie "4") von Kellinghusenstr. abgekoppelt werden sollte, um über Eppendorf nach Gr. Borstel zu gelangen, wäre Kellinghusenstr. ein einfacher Unterwegs-Bahnhof geworden. 

Bemerkenswert ist Linie "3". Sie windet sich schlangengleich von den Walddörfern durch die östlichen Stadtteile, nimmt Rothenburgsort / Billhorn mit wie der Bogen des Alsterringes von 1937 und endet am Elbufer. Ihr verkehrlicher Nutzen als Radialverbindung wird so zweifelhaft. Als Parallele der Linie "2" hat sie eher den Charakter eines nur durch umsteigen in sie sinnvollen Zubringers für sonst nicht erreichte Stadtteile. Linie "5" ist wieder eine klassische Durchmesserlinie für bisher nur unzureichend angeschlossene Gebiete. Die "6" bietet gute Querverbindungen Richtung Altona und bringt den Anschluss Bramfelds und die "7" schließt den Freihafen an. Diese Gutschow-Idee des Freihafen-Anschlusses über Baumwall statt der Elbbrücken sollte noch längere Zeit lebendig bleiben. Jetzt war an eine Umsteigestation "Baumwall" gedacht, bei der allerdings große Höhenunterschiede überwunden werden mussten.

Alles in allem konnte man sagen, gäbe es diese Hochbahn-Linien, so wäre ein Straßenbahn-Netz sicher entbehrlich. So wurde dann auch argumentiert. Praktisches Ergebnis war die Abschaffung des funktionierenden Straßenbahnnetzes, dem als Ausgleich allein die Hochbahnstrecken nach Wandsbek, Billstedt und Schlump - Jungfernstieg gegenüberstanden. Schon wenige Jahre später wurden die U-Bahn-Pläne deutlich reduziert. 

Die Linie nach Niendorf wurde am 18.07.1957 noch einmal im Detail der Öffentlichkeit vorgestellt, so im Hamburger Abendblatt:

Hierbei wurde vermittelt, dass die Strecke nicht mehr wie noch 1953 vorgestellt über Hellkamp hinaus nach Niendorf weitergeführt werden sollte, sondern dass jetzt wie in der Senatsdenkschrift 1955 die Trasse über Karolinenstr. angenommen wurde. Die innerstädtischen Haltestellen waren wieder als "Schnellfahrstrecke" a la Rothenbaumchaussee konzipiert, denn z.B. am Gänsemarkt war kein Stop vorgesehen und auch zwischen Rentzelbrücke und Hallerstr (bei der Kreuzung mit dem Grindelberg) waren gute 1.000 Meter. Sowieso - "Hallerstr" hätte man diese Haltestelle wohl doch nicht genannt. Auch von Siemersplatz bis Gr. Borsteler Str. wären 1.200 Meter Abstand gewesen. Man fragt sich natürlich nach dem Nutzen einer Bahn, die nur vorbei fährt ohne dass man in der Nähe einsteigen kann.

Und dass nördlich vom Karl-Muck-Platz (jetzt J.-Brahms-Platz) eine Zweigstrecke zum Direktanschluss Hellkamp abzweigen könnte, verschwieg diese Graphik. Jedenfalls sollte diese Strecke für geplante 200 Millionen DM (bis Niendorf gerechnet) ausdrücklich die stark belastete Straßenbahnlinie [2] ersetzen. Die Kreuzung an der Hoheluftbrücke dachte man sich in der Tat mit dem Unterschied von 4 Ebenen, denn die U-Bahn sollte unter dem Isebekkanal verlaufen.

Nach dem Bau der Strecken Jungfernstieg - Messberg - Hauptbahnhof (Süd) - Lübecker Str. wäre von der Bürgerschaft zu entscheiden, ob dann die Billstedter oder Niendorfer Strecke die größere Priorität habe. Wie wir wissen, wurde aus ganz bestimmten Gründen (Möglichkeit der Einstellung mehrerer Straßenbahnlinien) aber doch zuerst die Linie nach Wandsbek und mit Anschluss in die Walddörfer gebaut - mit Anschluss weder in Farmsen noch in Trabrennbahn, sondern auf einer verkürzten Route über Wandsbek-Gartenstadt..

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